Die baden-württembergischen Gerichte erhalten massive Verstärkung zur Bewältigung der Diesel-Klagewelle. Landesweit werden 40 neue Stellen, davon 27 für Richterinnen und Richter, geschaffen.
Nachdem der baden-württembergische Landtag am gestrigen Mittwoch, 22. Dezember 2021, das Gesetz über die Feststellung des Staatshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2022 verabschiedet hat, erhalten die baden-württembergischen Gerichte massive Verstärkung zur Bewältigung der Diesel-Klagewelle. Das hat die Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges mitgeteilt. Landesweit werden 40 neue Stellen, davon 27 für Richterinnen und Richter, geschaffen. 14 Stellen im Service-Bereich, die ansonsten weggefallen wären – sogenannte Stellen mit kw-(„künftig-wegfallend“)Vermerken – werden zudem verlängert. Die stark betroffenen Stuttgarter Gerichte profitieren dabei besonders und erhalten den Großteil der Stellen für Richterinnen und Richter – und zwar das Landgericht Stuttgart 17 neue Richterinnen und Richter sowie das Oberlandesgericht Stuttgart fünf neue Kolleginnen und Kollegen.
Zivilgerichte von Dieselverfahren regelrecht überschwemmt
Ministerin der Justiz und für Migration Marion Gentges sagte: „Man muss es so deutlich sagen: Die baden-württembergischen Zivilgerichte, insbesondere die in Stuttgart sind von so genannten Diesel-Verfahren regelrecht überschwemmt worden. Und diese Welle ebbt nicht ab, sie trifft die Gerichte im Land nach wie vor mit hoher Intensität. Allen Kolleginnen und Kollegen in der Justiz, die in den vergangenen Jahren mit hohem Engagement die Verfahrenswelle bewältigt haben, gilt mein herzlicher Dank.“
Weiter führte die Ministerin aus: „An den Zivilgerichten in Baden-Württemberg sind im Zeitraum von 2018 bis zum dritten Quartal 2021 fast 65.000 Verfahren eingegangen, die im Zusammenhang mit der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in den Abgasreinigungseinrichtungen von Dieselfahrzeugen stehen. An den Landgerichten ist seit 2018 mithin in etwa jedes vierte eingehende Verfahren ein Diesel-Verfahren. Die Bearbeitung dieser Verfahren stellt für die Richterinnen und Richter eine besondere Belastung dar – nicht nur aufgrund der hohen Eingangszahlen. Die Verfahren sind oft sehr umfangreich und lassen sich mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln – auch mangels geeigneter Sachverständiger – nur schwer aufklären. Umso wichtiger ist es nun, dass wir die Gerichte zur Bewältigung dieser Verfahren erheblich verstärken können.“
Aufgrund des Sitzes der Daimler AG ist das Landgericht Stuttgart mit Diesel-Verfahren besonders belastet. Die dort zuletzt deutlich überproportionalen Verfahrenseingänge führen aufgrund der hohen Berufungsquote in Diesel-Verfahren auch zu einer besonderen Belastung des Oberlandesgerichts Stuttgart. Beide Gerichte waren deswegen zuletzt bereits vorläufig verstärkt worden: das Landgericht Stuttgart mit fünf Personalzuweisungen im richterlichen Bereich sowie das Oberlandesgericht Stuttgart mit einem Vorsitzenden Richter.
Besonders betroffene Stuttgarter Gerichte massiv verstärkt
Cornelia Horz, Präsidentin des Oberlandesgerichts Stuttgart, und Dr. Andreas Singer, Präsident des Landgerichts Stuttgart, dankten Ministerin Gentges und ihrem gesamten Haus für ihren großen Einsatz für die Justiz: „Wir sind sehr dankbar, dass unsere hochbelasteten Gerichte diese Unterstützung durch die neuen Stellen erfahren. Wir empfinden dies als ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung für eine auch in Zukunft leistungsfähige Dritte Gewalt. Wir sind vor allem wegen der Diesel-Verfahren, aber auch angesichts der umfangreichen Strafverfahren gegen Terror und organisierte Kriminalität dringend auf diese Stärkung und auf den Rückhalt durch den Haushaltsgesetzgeber angewiesen. Dass darüber im Landtag große Einigkeit erzielt werden konnte und zusätzliche Stellen nicht nur für Richter, sondern auch für dringend benötigte weitere Unterstützungskräfte geschaffen wurden, sehen wir als ein ermutigendes und deutliches Signal für einen starken Rechtsstaat in schwierigen Zeiten.“
Beim im Bundesvergleich massiv mit Diesel-Verfahren belasteten Oberlandesgericht Stuttgart sind mittlerweile über 9.000 entsprechende Verfahren anhängig. Allein im Jahr 2021 sind fast 11.000 derartige Berufungsverfahren gegen Automobilhersteller neu dort eingegangen. „Angesichts dieser Verfahrensflut kann die berechtigte Erwartung der Rechtsuchenden und der eigene Anspruch der Kolleginnen und Kollegen an eine nicht nur qualitativ hochwertige, sondern auch möglichst zeitnahe Erledigung der Verfahren derzeit nicht mehr in gleicher Weise wie bisher erfüllt werden“, so Cornelia Horz. „Umso wichtiger ist dieses Zeichen des Beistands durch die Politik auch für meine Kolleginnen und Kollegen.“
Der Präsident des Landgerichts betonte: „Die Klagewellen haben sich bei uns auf die Bearbeitung aller Verfahren ausgewirkt. Die Neustellen sind daher nicht nur eine große und wertvolle Unterstützung zur Bewältigung der Diesel-Verfahren. Vielmehr wollen wir damit allen Rechtsuchenden effektiven und schnellen Rechtsschutz garantieren. Eine starke unabhängige Justiz ist wesentlicher Standortfaktor einer erfolgreichen Wirtschaftsregion. Nur wenn uns die Durchsetzung des Rechts in angemessener Zeit gelingt, kann die Wirtschaft verlässlich planen und rechtssicher handeln. Gleichermaßen erwarten die Bürgerinnen und Bürger zu Recht schnelle und fundierte Gerichtsentscheidungen.“
Haushalt 2022 setzt Schwerpunkt auf Stärkung der Justiz
Der Staatshaushaltsplan der Landesregierung des kommenden Jahres setzt insgesamt einen klaren Schwerpunkt auf die Stärkung der Justiz im Land. Mit rund 450 Neustellen und der Verlängerung von 581 Stellen mit kw-Vermerken werden Justiz und Justizvollzug nicht nur punktuell, sondern in der ganzen Breite gestärkt.
Diesel-Klagen
Bei Diesel-Klagen handelt es sich um Klagen von Fahrzeugbesitzern und Eigentümern gegen Automobilhersteller wegen der behaupteten Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in den Abgasreinigungseinrichtungen von Dieselfahrzeugen. Grundsätzlich richtet sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes nach dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten. Dieser ist bei Gesellschaften am Sitz des Unternehmens. Das Landgericht Stuttgart ist daher bundesweit für alle Klagen gegen die Autobauer zuständig, deren Konzernzentralen in Stuttgart sitzen.
Zum Abbau dieser Verfahren sind im Staatshaushaltsplan 40 Neustellen über alle Laufbahnen hinweg vorgesehen, davon 27 für den höheren Dienst (Richterinnen und Richter), drei für den gehobenen Dienst (Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger) sowie zehn für den sogenannten Servicebereich.