Gerichte und Staatsanwaltschaften

Jugendkriminalität

Person mit Handschellen

Eindämmung der Jugendkriminalität

Für eine effektive Bekämpfung der Jugendkriminalität ist die schnelle und konsequente staatliche Reaktion auf das kriminelle Verhalten junger Menschen („Die Strafe folgt auf dem Fuß“) ebenso ausschlaggebend wie das Bemühen, den jungen Straftätern rechtzeitig und zielgerichtet Chancen und Hilfsangebote für ein weiteres straffreies Leben zu eröffnen. Das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg setzt deshalb auf eine Strategie nach der Formel „Grenzen setzen und Chancen bieten“.

I. Aktuelle Entwicklung

1. Zahl der verurteilten jungen Menschen

Ab Anfang der 1990er Jahre stiegen die Zahlen verurteilter junger Menschen in Baden-Württemberg ebenso wie bundesweit und in vielen anderen europäischen Staaten kontinuierlich an. Nach einigen Jahren der Stagnation gingen sie in den letzten Jahren – mit Ausnahmen in 2018 und 2019 – wieder zurück. Im Jahr 2022 lag die Zahl der verurteilten Jugendlichen und Heranwachsenden jeweils auf dem niedrigsten Stand seit 1952.

Im Jahr 2023 hat sich dieser Trend bei den Jugendlichen nicht fortgesetzt. Die Zahl der verurteilten 14- bis 17-Jährigen stieg im Vergleich zum Vorjahr um +3,3% auf 2.858. Höhere Verurteiltenzahlen waren insbesondere in den Bereichen einfacher Diebstahl, Raub und Erpressung sowie gefährliche Körperverletzung zu verzeichnen. Damit ging ein Anstieg der Gewaltkriminalität um +26,3% einher. Gesunken sind hingegen vor allem Verurteilungen wegen Sachbeschädigung, Betrug und Untreue, einfacher (vorsätzlicher) Körperverletzung und Betäubungsmitteldelikten. Nach besorgniserregenden Anstiegen in den Jahren 2019 bis 2021 und einem Zehnjahreshöchststand im letzten Jahr hat zudem die Anzahl der wegen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verurteilten Jugendlichen (121) erstmals wieder abgenommen um -8,3% (2019: +16,7%; 2020: +33,3%; 2021: +15,2%; 2022: +2,3%).

Demgegenüber sank die Zahl der verurteilten Heranwachsenden (5.898) im Jahr 2023 erneut um -5,7% auf einen neuen historischen Tiefstwert. Betroffen waren nahezu alle Deliktsbereiche. Insbesondere kam es zu weniger Verurteilungen wegen Sachbeschädigung, Betäubungsmitteldelikten, Betrug und Untreue sowie gefährlicher Körperverletzung. Im Bereich der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hat sich der letztjährige starke Anstieg (+17,1%) wieder ausgeglichen (- 16,9%). Erheblich zugenommen haben dagegen Verurteilungen wegen einfachen und schweren Diebstahls (+47,6% bzw. +25,4%).

Eine Tabelle mit allen Verurteiltenzahlen seit 1952 finden Sie auf der Homepage des Statistischen Landesamtes Baden-Württemberg https://www.statistik-bw.de/Rechtspflege/StraftatenVerurt/LRt0404.jsp.

2. Gewaltkriminalität

Unter dem Begriff „Gewaltkriminalität“ werden entsprechend der Definition in der Polizeilichen Kriminalstatistik verschiedene Delikte mit Gewaltbezug zusammengefasst, beispielsweise Tötungsdelikte, qualifizierte Körperverletzungen und Raubdelikte[1]. Im Jahr 2023 lag der Anteil der Verurteilungen in diesem Bereich an allen Verurteilungen bei den Jugendlichen bei 22,7% und bei den Heranwachsenden bei 7,7%, während er bei den Erwachsenen lediglich 2,7% betrug. Bei den Heranwachsenden sank die Verurteiltenzahl gegenüber dem Vorjahr um -6,7% auf den niedrigsten Wert im Zehnjahresvergleich. Bei den Jugendlichen ist dagegen ein deutlicher Anstieg um +26,3% auf den zweithöchsten Wert im Zehnjahresvergleich zu verzeichnen.

[1] Im Einzelnen: Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschließlich mit Todesfolge, Raub, räuberische Erpressung, räuberischer Angriff auf Kraftfahrer, qualifizierte Körperverletzungsdelikte (Körperverletzung mit Todesfolge, gefährliche und schwere Körperverletzung), Verstümmelung weiblicher Genitalien, erpresserischer Menschenraub, Geiselnahme, Angriff auf den Luft- und Seeverkehr

3. Intensivtäter 

Delinquenz von Kindern und Jugendlichen ist in den meisten Fällen vorübergehend und episodenhaft. Das Austesten und Überschreiten von Grenzen und Risiken, auch in Form von strafbarem Verhalten, ist unter entwicklungspsychologischen Aspekten normal. Bei einigen jungen Menschen droht jedoch eine Verfestigung delinquenten Verhaltens. Dieser Personenkreis verdient besondere Aufmerksamkeit.

Hierzu wurde in Baden-Württemberg schon im Jahr 1999 im Rahmen einer Präventionsinitiative gegen die steigende Jugendkriminalität das Initiativprogramm „Jugendliche Intensivtäter“ ins Leben gerufen, das sich nach einhelliger Auffassung der Praxis bewährt hat. Ziel des Projekts ist es, durch eine enge und institutionalisierte Zusammenarbeit der mit der Jugendkriminalität befassten Stellen, also Staatsanwaltschaften, Polizei, Jugendämter, Schulen und gegebenenfalls Ausländerbehörden, in einem frühen Stadium schnell und koordiniert auf intensive Delinquenz Jugendlicher zu reagieren.

In den Jahren 2022 / 2023 hat das Ministerium des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen das bisherige Intensivtäterprogramm untersucht und zu einem Gesamtprogramm für „Besonders auffällige junge Straftäterinnen und Straftäter“ (BajuS) weiterentwickelt. Künftig wird sich die Bewertung des delinquenten Handelns primär an qualitativen Parametern der Straftat orientieren und weniger an der Anzahl der begangenen Delikte. Dadurch rücken Kinder und Jugendliche, deren Verhalten sich von Anbeginn eher im Bereich der Gewaltkriminalität bewegt, früher in den Fokus.

Nähere Informationen zum Gesamtprogramm für „Besonders auffällige junge Straftäterinnen und Straftäter“ finden sich auf der Homepage des Innenministeriums Baden-Württemberg https://www.baden-wuerttemberg.de/de/service/presse/pressemitteilung/pid/neues-konzept-zum-umgang-mit-jungen-straftaetern.

II. Reaktion durch die Justiz

1. Sanktionspraxis

Im Jahr 2023 wurden von den baden-württembergischen Gerichten insgesamt 8.756 Jugendliche und Heranwachsende verurteilt.

Bei den Heranwachsenden wurde von den Gerichten in nahezu der Hälfte aller Fälle (44,0%) noch das Jugendstrafrecht angewendet, obwohl die Täter volljährig waren. Dabei fällt auf, dass die Jugendgerichte gerade bei Gewalttätigkeiten von Heranwachsenden besondere Zurückhaltung bei der Anwendung des Erwachsenenstrafrechts üben, denn bei 90,1% aller Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung wurden die heranwachsenden Straftäter im Jahr 2023 nach Jugendstrafrecht verurteilt.

Bei den Verurteilungen nach Jugendstrafrecht – sowohl von Jugendlichen als auch von Heranwachsenden – (5.453) wurden in 19,7% der Fälle Jugendstrafen ausgesprochen. Dabei wurde nur bei etwas mehr als der Hälfte (53,8%) die Vollstreckung der Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt, was dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre entspricht.

2. Dauer der Verfahren

Gerade bei jungen Menschen sollten Sanktionen möglichst in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Regelverstoß ergriffen werden, weshalb die staatliche Reaktion der Tat auf den Fuß folgen sollte. Die baden-württembergischen Staatsanwaltschaften und Gerichte achten daher besonders darauf, die Verfahrenslaufzeiten in Jugendstrafsachen zu beschleunigen.

Die durchschnittliche Dauer der Bearbeitung von Jugendstrafverfahren von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bei der Einleitungsbehörde bis zur Erledigung durch die Staatsanwaltschaft betrug im Jahr 2022 3,1 Monate (2021: 3,0 Monate). Vom Tag des Eingangs der Sache bei der Staatsanwaltschaft bis zur Erledigung bei der Staatsanwaltschaft betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer in Jugendstrafverfahren im Jahr 2022 lediglich 1,5 Monate (2021: 1,4 Monate).

Im Jahr 2022 waren die Verfahren beim Jugendrichter regelmäßig nach 3,0 Monaten (2021: 2,9 Monate) abgeschlossen, beim Jugendschöffengericht nach 4,1 Monaten (2021: 4,1 Monate). Bei der Großen Jugendkammer (Landgericht I. Instanz) war ein Jugendstrafverfahren in Baden-Württemberg nach durchschnittlich 6,9 Monaten (2021: 6,6 Monate) abgeschlossen.

III. Projekte, die Chancen eröffnen

In Baden-Württemberg werden bereits seit vielen Jahren Präventionsprogramme in allen Justizbereichen, also im Ermittlungs- und Strafverfahren ebenso wie im Strafvollzug betrieben und fortentwickelt. Mit ihnen sollen weitere Straftaten verhindert und die Wiedereingliederung der straffällig gewordenen Jugendlichen und Heranwachsenden durch gezielte Hilfestellungen sämtlicher in einem Jugendstrafverfahren beteiligter Institutionen erleichtert werden.